PRESSEMITTEILUNG
Leinfelden-Echterdingen, 07.02.2025
Pläne des Bundesfinanzministeriums bedrohen Weiterbildung auch in Baden-Württemberg: Nur berufsbezogene Weiterbildung künftig umsatzsteuerfrei?
BMF-Pläne ignorieren Interessen von Unternehmen und Bürger*innen – vhs-Landesverband und Bundesverband fordern Dialog über zeitgemäßes Bildungsverständnis
Mit einem Entwurf zur Änderung des Umsatzsteueranwendungserlasses nimmt das Bundesministerium der Finanzen (BMF) die Träger der allgemeinen Weiterbildung ins Visier – und demonstriert Unverständnis für die Herausforderungen der agilen Arbeits- und Lebenswelt. So erklärt das Ministerium den Erwerb fachübergreifender Kompetenzen, die heute in jedem Unternehmen gebraucht werden, zur Freizeitbeschäftigung. Entsprechende Lernangebote könnten somit künftig besteuert werden. Steuerfrei soll Weiterbildung nur bleiben, wenn sie unmittelbaren Bezug zu einem Beruf oder der Berufswahl hat. Die Volkshochschulen und ihre Verbände warnen eindringlich davor, Bildung so eng zu definieren, und fordern das Ministerium zu einem konstruktiven Dialog über Weiterbildung in Zeiten der KI-Revolution, des globalisierten Arbeitens und starker gesellschaftlicher Spannungen auf. Bildungsexpert*innen und Wirtschaftsfachleute sind sich längst einig, dass es heute im gesellschaftlichen Leben wie auch am Arbeitsplatz auf die von der allgemeinen Weiterbildung vermittelten überfachlichen Kompetenzen ankommt.
Hintergrund der Pläne aus dem Ministerium ist die Anpassung des deutschen Umsatzsteuergesetzes an EU-Recht. Nur: Auf eine Besteuerung der allgemeinen Weiterbildung zielte der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung gar nicht ab! Aus Sicht der Volkshochschulen muss das BMF seine Erklärungen zur Anwendung des einschlägigen Paragrafen im Umsatzsteuergesetz noch einmal überdenken, denn eine Steuererhebung auf Weiterbildungsangebote würde den ständigen Appell aus Politik und Wirtschaft zur Notwendigkeit lebenslangen Lernens zur Worthülse verkommen lassen.
Ministerieller Alleingang
Konkret geht es in den strittigen Ausführungen aus dem Ministerium um einen Anwendungserlass zu dem mit Wirkung zum 1. Januar 2025 geänderten Paragrafen 4 Nr. 21 im Umsatzsteuergesetz. Die erklärte Absicht des Gesetzgebers war laut der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, dass auch nach der Gesetzesänderung „die bislang umsatzsteuerfreien Leistungen“ unverändert umsatzsteuerfrei bleiben. Das BMF setzt sich mit seinem Entwurf für den Anwendungserlass im Prinzip darüber hinweg, indem es nur direkt berufsbezogene Weiterbildungsangebote als Bildungsleistungen anerkennt. Vermitteln Angebote hingegen Kenntnisse und Fähigkeiten, die auch im Privaten zur Anwendung kommen, fallen sie nach Lesart des Ministeriums in die Kategorie Freizeit und würden damit steuerpflichtig.
Schmalspur-Bildung
Aus Sicht der Volkshochschulen bewegt sich das Ministerium mit seinem engen Bildungsbegriff fernab jeder gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität. „Es ist rechtlich und in der Sache falsch, Bildung und Gemeinnützigkeit auf berufliche und betriebswirtschaftliche Verwertbarkeit zu verkürzen, wie es das Bundesfinanzministerium gerade vorhat“ sagt Landesverbandsdirektor Dr. Tobias Diemer. „Das widerspricht nicht nur dem Verständnis von Bildung, das uns in Europa und besonders auch in Deutschland seit der Aufklärung – seit Kant, Humboldt und Schiller – wichtig ist. Es widerspricht auch dem aktuellen Bildungsverständnis der OECD, die ein breites Spektrum an Kompetenzen für das 21. Jahrhundert definiert hat wie Kreativität, kritisches Denken und soziale Verantwortungsbereitschaft, die allesamt nicht nur beruflich, sondern auch privat und vor allem für die gesellschaftliche Entwicklung notwendig sind.“
Weiterbildungsangeboten, die der Stärkung der Demokratie und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen, spricht das Ministerium den Bildungswert ab. Das ist aus Sicht der Volkshochschulen unhaltbar. Es steht auch im Widerspruch zu den von Bund und Ländern erarbeiteten Kriterien für eine Bildungsveranstaltung, die der Anwendung des wichtigen Paragrafen 4 Absatz 22a im Umsatzsteuergesetz zugrunde gelegt werden sollen. Diese Regelung erklärt Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher und belehrender Art, die von bestimmten Einrichtungen, unter anderem Volkshochschulen, erbracht werden, für steuerfrei. „Darüber hinaus sind die geplanten Vorschriften des Bundesfinanzministeriums unvereinbar mit dem Weiterbildungsgesetz des Landes Baden-Württemberg, das die Förderung der auf das Gemeinwohl ausgerichteten Weiterbildung in unterschiedlichen Bereichen vorsieht. Darin heißt es in §1: „Die Weiterbildung soll den einzelnen zu einem verantwortlichen Handeln im persönlichen, beruflichen und öffentlichen Bereich befähigen und damit der freien Gesellschaft im demokratischen und sozialen Rechtsstaat dienen.““ zitiert Landesverbandsdirektor Dr. Tobias Diemer.
Die reduzierte Definition von Bildung in dem BMF-Papier diskriminiert zudem ganze gesellschaftliche Gruppen, zum Beispiel alle diejenigen, die ihr Berufsleben schon hinter sich haben, sich aber im vitalen persönlichen wie auch gesellschaftlichen Interesse weiterbilden wollen.
Auf die europäische Rechtsprechung kann sich das BMF mit seinem eigenwilligen Bildungsverständnis nicht berufen. Für den EuGH zählt bei der Definition von Bildung eben nicht die unmittelbare berufliche Verwendbarkeit: Für den Gerichtshof ist vielmehr die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen maßgeblich.
Auf welche Abwege die Pläne aus dem Ministerium führen können, zeigen Beispiele für steuerfreie Angebote, die das BMF in seinem Entwurf für den Umsatzsteueranwendungserlass anführt. Befreit von der Umsatzsteuer bleibt etwa der Musikunterricht für Kinder ab 3 Jahren – mit dem Argument, dass dieser potenziell auf eine Aufnahmeprüfung an einer Hochschule oder Fachhochschule vorbereite. Dies soll unabhängig von den persönlichen Voraussetzungen der Lernenden gelten. Hingegen muss bei Kursen für Jugendliche, „bei denen Wissen vermittelt wird oder Fähigkeiten, soziale Kompetenzen und Werte erlernt werden“, für eine Umsatzsteuerbefreiung erst einmal nachgewiesen werden, dass es sich um Erziehungsleistungen handelt.
Mit bürokratischem Eifer in die soziale Schieflage
Haarspalterische Formulierungen in dem Papier des BMF lassen erahnen, wie sehr es die Programmplanung von Weiterbildungseinrichtungen verkomplizieren würde: So unterscheidet das Ministerium zwischen steuerfreien Veranstaltungen mit Berufsbezug und solchen mit der „bloßen Möglichkeit eines Berufsbezugs“, die besteuert werden sollen. Die Direktorin des Bundesverbands der Volkshochschulen, Julia von Westerholt, sieht eine Lawine von Bürokratie auf die Weiterbildung zurollen. Noch schlimmer sei jedoch, dass die Autor*innen des Papiers schlussendlich die Preise für Weiterbildung in die Höhe treiben würden. Dies benachteilige zahllose Personen, die sich gerade in Krisen- und Umbruchszeiten weiterbilden wollen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Landesverbandsdirektor Dr. Tobias Diemer ergänzt: „Gerade auch in Baden-Württemberg finden derzeit große wirtschaftliche Veränderungen statt. Menschen müssen sich beruflich und damit oft auch persönlich neu orientieren. Sie brauchen Bildungsangebote, die ihnen die notwendigen Schlüsselkompetenzen vermitteln. Kein Bundesministerium darf dabei auf die Bremse treten“.
Zum Volkshochschulverband Baden-Württemberg gehören 161 Volkshochschulen mit knapp 650 Außenstellen. Die Einrichtungen vor Ort bieten ein flächendeckendes Netz an vielfältigen Angeboten zur Allgemeinbildung, einschließlich der Bildung für nachhaltige Entwicklung, zur Gesundheitsbildung, in den Sprachen, zum Thema Integration und zur beruflichen Qualifizierung sowie in der Alphabetisierung und Grundbildung. Informationen über die Arbeitsfelder der Volkshochschulen finden Sie auf der Website des Volkshochschulverbandes Baden-Württemberg: www.vhs-bw.de.
Weitere Informationen
Zur Stellungnahme des DVV zur Änderung des Umsatzsteueranwendungserlasses
Zur Themenseite „Weiterbildung muss umsatzsteuerfrei bleiben“
Kontakt
Stefanie Brömel, Pressestelle, Volkshochschulverband Baden-Württemberg, Raiffeisenstraße 14, 70771 Leinfelden-Echterdingen, Telefon: (07 11) 7 59 00 44, E-Mail: broemel@vhs-bw.de